Samstag, 28. Juni 2008

Spracherwerb und die Füllung von Spiegelneuronen bestimmen, was für uns Liebe ist


Kürzlich habe ich im Sindelfinger Badezentrum ein liebenswertes Bild gesehen: Eine Mutter hielt ihr noch kein Jahr altes Kind in den Händen und zog es durchs Wasser; sie bahnte mit dem Rücken den Wasserweg und zog das Kind rückwärts laufend hinter sich her. Aber das war noch nicht das Besondere. Das Besondere war, dass die Mutter ununterbrochen kommunizierte, und zwar allein mit ihrer Mimik. Das Kind mag wohl das warme Wasser gespürt haben, aber es hing mit übergroßer Hingabe und Aufmerksamkeit an dem Gesicht der Mutter, es war faszinierend. Ich glaube, es entging ihm nichts. Das Gesicht der Mutter war voller Liebe für ihr Kind, sie sandte ihm Küsse zu, sie morste mit den Augen Liebe, alles an ihrem Gesicht waren Funken der Liebe, was sie auch immer tat, welche Miene sie auch zeigte … nicht eine der vielen tausend mimischen Ausdrücke war gleich … ein mimischer Funkenflug der Liebe … für ihr Kind.
Und sie schien keine Konditionsprobleme zu haben. Mir kam es ewig vor, dass die beiden durchs Wasser turtelten. Am liebsten hätte ich der Mutter gesagt, wie wichtig und wunderschön es ist, was sie macht. Aber ich hätte ihr Liebespiel unterbrechen müssen, und das wollte ich natürlich nicht. Und dass es ein Liebesspiel war und wie wichtig es für künftige Liebesspiele des Kindes ist, wird deutlich auf dem Hintergrund des Zitates aus Joachim Bauers wegweisendem Buch über Spiegelneuronen:

Dass wir mit einer angeborenen, genetisch angelegten Grund­ausstattung von Spiegelnervenzellen ins Lebens starten, zeigt sich an einem Phänomen, das ohne sie nicht möglich wäre: Bei richtig gewähltem Abstand beginnen Säuglinge wenige Stunden bis Tage nach der Geburt, bestimmte Gesichtsaus­drücke, die sie sehen, spontan zu imitieren. Öffnet das ihnen entgegenblickende Gesicht den Mund, tun sie dasselbe. Auf ein Gesicht mit gespitztem Mund reagiert das Neugeborene, indem es selbst die Lippen kräuselt, und es streckt seine Zunge heraus, wenn man ihm dies vormacht. Mit seiner erstaun­lichen Fähigkeit zur Imitation hat der Säugling bereits von den ersten Lebenstagen an die Möglichkeit, sich auf ein wech­selseitiges Spiel einzulassen, welches dazu führt, dass sich erste zwischenmenschliche Bindungen entwickeln können. Die neurobiologisch angelegte Bereitschaft zu spontanen Imitationsakten ist das Grundgerüst, um das herum sich die Beziehung zwischen Säugling und Bezugsperson entwickelt. Zwischen dem Neugeborenen und der Hauptbezugsper­son beginnt nun etwas, dessen Zauber nur noch mit der Situation von Frischverliebten zu vergleichen ist. Und tat­sächlich passiert aus neurobiologischer Sicht in beiden Fäl­len etwas sehr Ähnliches: ein wechselseitiges Aufnehmen und spiegelndes Zurückgeben von Signalen, ein Abtasten und Erfühlen dessen, was den anderen gerade, im wahrsten Sinne des Wortes, bewegt, begleitet vom Versuch, selbst Signale auszusenden und zu schauen, inwieweit sie vom Gegenüber zurückgespiegelt, das heißt erwidert werden. Dieses Spiel steht nicht nur am Anfang einer Liebesbezie­hung, es bildet, in weniger intensiver Form, den Startpunkt jeder zwischenmenschlichen Beziehung.

Viele Kinder erleben nie, was dieses Kind erleben durfte, das ich damals beobachten konnte. Viele liegen auf einer kalten Ablage und werden lieblos gewickelt und die Mutter spricht kaum mit ihnen … Doch immer füllen sich Zellen mit einer entsprechenden Füllung, denn von jeder Bewegung werden Kopien angefertigt im Gehirn des Kindes und diese Kopien werden aktiv, wenn sie Entsprechendes selbst tun oder wiedererkennen; deshalb werden manche Kinder später stärker auf Liebe reagieren, manche auf Gleichgültigkeit und Kälte; und Kinder werden immer das als normal empfinden, was sie kennengelernt haben.
Vor allem aber kennen viele gar nicht, was Liebe ist.
Wie aber wollen sie von ganzem Herzen an einen späteren Partner weitergeben, was sie nicht kennen?
Wie viele im Grunde gleichgültigen Liebesspiele werden auf der Erde täglich gespielt?
Viele Liebesspiele sind Bewegungsspiele mit einem bestimmten Grad von seelisch-körperlicher Gefühlsaufwallung …
Alle Menschen nennen love, amore, láska, svegi, Liebe, was bei dem Einzelnen auf der ganzen Welt nicht unterschiedlicher sein kann.
Unsere Eltern geben uns für etwas Bestimmtes den Begriff "Liebe" vor, was ebenfalls unterschiedlicher nicht sein könnte.
Manche Bezeichnung für Liebe ist wie eine Geheimnispizza, in der ein Backstein liegt. So ist Liebe für manche wahrhaft unverdaulich … nur wissen sie es nicht.
Meine Eltern sprachen viel über Liebe, aber sie sprachen immer über die Liebe Gottes.
Sie wussten nicht, was Liebe ist, aber sie haben es bestens getarnt.
Wer so viel über Liebe, über die Liebe Gottes spricht, der muss doch wissen, was Liebe ist.
Pustekuchen!
Ich glaube, dass viele nicht nur ins Kloster, sondern ins Religiöse oder in Esoterik flüchten, um sich nicht mit ihrer eigenen Lieblosigkeit auseinandersetzen zu müssen. Doch sie flüchten vor einer Last, die sie nicht tragen müssen. Wer aber mag sich schon eingestehen: Ich weiß nicht, was Liebe ist.
Wer ohne Liebe aufwächst, trägt eine schwere Hypothek. Aber kaum jemand wird ein höheres Bewusstsein von Liebe haben können als jener, der - den Mangel erkennend - unter der Erkenntnis eigener Lieblosigkeit leidet … wenn er sodann sein Herz der Liebe öffnet.
Mein Credo: Immer können sich Zellen mit Liebe füllen; immer kann sich ein Herz für Liebe öffnen.
Jeder Atemzug kann ein Spiel der Liebe sein.